Fast wünschte ich mir, dass ich nicht um Informationen gebeten habe: Als ich heute die Whatsapp-Nachrichten von Danisa Ndlovu aus Simbabwe las, ergriff mich kaltes Entsetzen. Und das, obwohl ich doch um die Situation der Menschen im Lande weiß. Und dennoch: Es ist etwas anderes, Informationen aus der Presse zu haben oder aus erster Hand. Der Presse entnehme ich, dass die Gesundheitssysteme (welches Gesundheitssystem???) nun vollständig zusammengebrochen sind. Die Hölle der Realität steht mir allerdings dann vor Augen, wenn ich in der Whatsapp den Bericht einer Krankenschwester lesen muss, die die Krankenhäuser in Simbabwe als Stätten beschreibt, die zu menschlichen Schlachthäusern mutiert sind: Die morgens aufwacht und sich angstvoll fragt, welcher Horror sie heute in ihrer Schicht erwartet. Die völlig erschöpft ist von den Schmerzensschreien der Mütter, den sterbenden Müttern, den Gesichtern der toten Kinder, die sie hätte vor dem Tod retten können, wenn nur das Gesundheitssystem funktionieren würde. Ich selbst werde das Antlitz der sterbenden Frau in dem nach Tod stinkendem Raum in einer Krankenstation irgendwo im Busch von Matabeleland vor über sieben Jahren mein ganzes Lebens lang nicht vergessen – auch sie hätte in einem anderen Gesundheitssystem nicht sterben müssen. Ich konnte den Bericht der Krankenschwester nicht vorlesen ohne wegen meiner aufkommenden Schluchzer ein paar Mal zu unterbrechen – was wäre wohl, wenn ich auch nur 5 Minuten diesen Horror des sinnlosen Verreckens erleben müsste?!?

Fünf Minuten später schickt mir Danisa ein Interview mit einem Menschenrechtsaktivisten namens Blessing Vava. Vava erscheint unerschütterlich in seinem Glauben an Veränderung: „Alle können sehen, dass die Machthaber sehr sehr unsicher sind und wissen, dass die Zeit gekommen ist, in der es den SimbabwerInnen reicht… Eine Diktatur zu bekämpfen ist nicht einfach, aber wir haben keine andere Wahl als Simbabwe vor denjenigen zu bewahren, die meinen, das Lande gehöre ihnen… Wir haben eine neue Generation junger IdealistInnen, die sehr aktiv sind… es geschieht gerade ein Generationenwechsel, und dieser Wechsel, der da gerade stattfindet, muss von seriösen intellektuellen FührerInnen begleitet werden.“

Ein Lied, dass ich als Jugendliche sehr oft auf meiner Gitarre gespielt habe, fällt mir ein: „How Many Roads?“ von Bob Dylan. Juliane Werding hat es damals mit folgender deutschen Übertragung gesungen:

„Wie viele Straßen auf dieser Welt
Sind Straßen voll Tränen und Leid?
Wie viele Meere auf dieser Welt
Sind Meere der Traurigkeit?
Wie viele Mütter sind lang schon allein
Und warten und warten noch heut‘?

Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind
Die Antwort weiß ganz allein der Wind

Wie viele Menschen sind heut‘ noch nicht frei
Und würden es so gerne sein?
Wie viele Kinder geh’n abends zur Ruh‘
Und schlafen vor Hunger nicht ein?
Wie viele Träume erflehen bei Nacht
Wann wird es für uns anders sein?

Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind
Die Antwort weiß ganz allein der Wind

Wie große Berge von Geld gibt man aus
Für Bomben, Raketen und Tod?
Wie große Worte macht heut‘ mancher Mann
Und lindert damit keine Not?
Wie großes Unheil muss erst noch gescheh’n
Damit sich die Menschheit besinnt?

Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind
Die Antwort weiß ganz allein der Wind“

Je älter ich werde, desto mehr frage ich mich mit der Sängerin Alexandra „Was ist das Ziel in diesem Spiel?“.

Ich könnte diese Welt mit all‘ ihren menschengemachten Ungerechtigkeiten, Grausamkeiten und Unterdrückungen nicht ertragen und ich würde es nicht aushalten, so privilegiert zu leben wie ich es tue, wenn ich nicht Halt bei den biblischen Verheißungen finden würde: den Verheißungen eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Wenn ich nicht Hoffnung finden würde in Menschen wie den südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu, der jahrzehntelang einen gewaltfreien Kampf gegen die Apartheid gekämpft hat und stets der Überzeugung war, dass Ungerechtigkeit und Unterdrückung nicht das letzte Wort haben werden. Wenn ich nicht am Glauben festhalten würde …

„Verwundbarkeit des Herzens

Im Glauben geht es nicht um eine Sentimentalität. Und wir brauchen diese Verwundbarkeit des Herzens, wenn wir noch ahnen, dass jedes verhungernde Kind Christus ist und niemand anderes. Wenn wir eine innere Beziehung zu Christus haben, dann brauchen wir nicht eine Hornhaut, nicht eine Rüstung, sondern eine Verwundbarkeit, die in jedem dieser überflüssigen Menschen Christus sieht, in Lumpen auf dem Esel, diesen erfolglosen Täumer, in dem sich Gott verbirgt. Die Liebe sieht ihn.“ (Dorothee Sölle)

Anmerkung zum Foto: Diese Skulptur mit dem Titel „Compassion“ (Barmherzigkeit) ist eine von 32 Skulpturen, die in einer Ausstellung auf die Situation in Simbabwe aufmerksam machen sollen und deren Verkaufserlös der Brethren in Christ Church Zimbabwe zur Verfügung gestellt wird. Ort und Zeit werden rechtzeitig bekannt gegeben.