Ich konnte es nicht lassen: Gestern startete ich eine Fahrradtour in meine neue Umgebung – und baute spontan einen Abstecher nach Altes Lager ein. Wer sich jetzt fragt, wer oder was das um Himmels willen sein soll, hat vielleicht ein Aha-Erlebnis beim Stichwort „Niedergörsdorf – unsere Sache“: Altes Lager ist eins von 24 Dörfern, die unter den Gemeindebegriff „Niedergörsdorf“ subsummiert sind. In den 1990er Jahren wurden dort in den ehemaligen Kasernen der Sowjetarmee „Rückwanderer“ aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion untergebracht – und eben auch solche mit „mennonitischem Hintergrund“. Mennonitische KanadierInnen und die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (VDM) engagierten sich über Jahre: Es wurde ein Haus als Gemeindehaus gekauft, die Mennonitische Jugend Norddeutschland (MJN) veranstaltete alljährlich eine Kinderbibelwoche, die Berliner Mennoniten-Gemeinde unterstützte die Menschen mit Sachspenden und Predigtdiensten, VDM-Gemeinden spendeten für „Niedergörsdorf – unsere Sache“. Im Jahr 2007 führte ich eine international und ökumenische besetzte Gruppe des Ökumenischen Rats der Kirchen nach Altes Lager, um die Kooperationen zwischen VDM, Kommunalpolitik, der Evangelischen Kirche und dem Diakonischen Werk zu zeigen – wie aus einem Militärgebiet mit Hilfe von Vernetzungen ein Hoffnungsprojekt wurde.
Ausgerechnet Mennoniten trugen maßgeblich dazu bei, dass ein jähes Ende nahte: Wir haben es nicht geschafft – trotz eines langen Gesprächsprozesses auch mit Hilfe des MCC Westeuropa (damals Jakob Kikkert) – die friedensbildenden Effekte einer Kooperation von „weltlichen“, „nicht-mennonitischen“ und mennonitischen PartnerInnen deutlich zu machen. Die Auffassung der „Abkehr von der Welt“ war zu dominant. Wir, die VDM, haben die kleine Gemeinde ziehen lassen – in der Hoffnung, dass sie ihren eigenen Weg finden werden.
Als ich gestern vom Fahrrad stieg, um mir den Schaukasten näher anzusehen, schlug sie mir entgegen, die Unabhängigkeit: Die Gottesdienste werden von der Gemeinde Wolfsburg aus bedient.
Es schmerzt – immer noch.
Vielleicht wäre ein Gottesdienstbesuch (wenn das wieder möglich sein wird) ein erster Schritt hin zu einem Heilungsprozess. Und wer weiß, welche Wege sich erschließen können, denn:
Wenn wir nicht von vorne anfangen, dürfen wir nicht hoffen, weiter zu kommen.
Johann Gottfried Seume