Wie habe ich sie gefürchtet, die „Händegebsituation“ in meiner Kindheit – Klein-Martina war eher ein Kind, das zunächst mal beobachtet hat und nicht gleich auf jede/n neuen Menschen zugelaufen ist (nicht zu verwechseln mit „schüchtern“, das war ich eher selten). Und dann war es wieder soweit für das „erwachsene“ Verständnis von Höflichkeit: Ich sollte einem mir „wildfremden“ Menschen die Hand geben. Ich habe mich gefügt – und die Erziehung war erfolgreich: Ich gebe heute mir nicht näher bekannten Menschen freundlich die Hand, ohne dass es mir innere Probleme bereitet.

Bereits im Römischen Reich wurden sich die Hände zur Begrüßung und zum Abschied geschüttelt. Paulus erwähnt im Galaterbrief (Gal.2,9), dass ihm beim Abschied in Jerusalem die Hände von Jakobus, Kephas und Johannes gereicht wurden – wohl als Zeichen seiner Anerkennung als Apostel. Es gibt Gemeinden, die sich beim Friedensgruß die Hände schütteln.

Gesten der Begrüßung und des Abschieds können politischen Inhalt haben bzw. zwangsweise modifiziert werden: Während der Zeit des Nationalsozialismus sollte das Händeschütteln durch den „Hitlergruß“ ersetzt werden. In der DDR war der Händedruck im Parteilogo der SED Ausdruck der Einheit der Arbeiterbewegung.

Es gibt eine Umfrage, dessen Ergebnis ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann: 70% der Ostdeutschen begrüßten auch ihre Bekannten und FreundInnen mit Handschlag, während es bei den Westdeutschen nur 40% seien.

Was mich bei meinen Recherchen zum Händeschütteln allerdings etwas aus den Socken gehoben hat, war folgende Information, die dereinst völlig an mir vorbeigegangen ist: Als Thomas de Maizière (aufgewachsen in der DDR…) den Posten des Innenministers innehatte, erklärte er das Händeschütteln zur Begrüßung als Teil der „deutschen Leitkultur“, an die sich alle EinwanderInnen anzupassen hätten.

Und nun das: Pandemische Zeiten und das Händeschütteln ist aus hygienischen und übertragungstechnischen Gründen verpönt. Was nun, deutsche Leitkultur? …

Ich habe vor kurzem erfahren, dass andere Gesten auch andere emotionale Dimensionen haben: Anstatt mit einem Handschlag mein Beileid auszudrücken gegenüber trauernden Angehörigen führte ich meine rechte Hand an meine Herzgegend und schaute ihnen gleichzeitig in die Augen – und erhielt eine angedeutete Verbeugung zurück. Für mich war dieser Moment intimer und ausdrucksstärker als jeglicher Händedruck.

Wer auch immer welche Geste demnächst als „deutsche Leitkultur“ propagiert oder nicht: Wenn Umarmungen nicht möglich oder nicht angebracht sind, wähle ich bis auf Weiteres den „Herzensgruß“ für mich.

Wie schon der kleine Prinz bemerkte: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ (Antoine de Saint-Exupéry)

Klein-Martina hätte das ziemlich gut gefunden…