„Kunst kommt von können und nicht von wollen, sonst hieße es ja Wunst“ – an diesen Ausspruch eines Freundes der Familie Basso musste ich heute morgen beim Zeitunglesen denken – ausgehend vom „Tagesspiegel“-Interview mit dem Parlamentspräsidenten Wolfgang Schäuble am vergangenen Sonntag kommentierte ein Journalist Schäubles Ausführungen über das Verhältnis der Grundrechte „Schutz von Leben“ und „Würde des Menschen“ mit einer Frage: Welches Maß an Menschlichkeit können wir, wollen wir uns leisten?“ Diese vermeintlich lapidare Aneinanderreihung von zwei Hilfsverben hat es in sich – siehe Kunst und Wunst.

Worum geht es hier eigentlich, mag sich der/die geschätzte Leser/in fragen: Die Diskussionen um die Lockerungen der Einschränkungen auf Grund der Pandemie beinhalten grundsätzliche ethische Fragestellungen – das hat Herr Schäuble in dem Interview deutlich gemacht. Der Kernanstoß ist folgender Satz: „Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“

Besagter Journalist schlussfolgert aus dem Interview auch: „Für Gefährdete wird es wieder gefährlich werden. Es geht nicht anders“. Kunst und Wunst.

Lebten wir in der Apostelgeschichte, ginge es ums Können: „Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte“ (Apostelgeschichte 2,45). Wir könnten. Wir könnten alles zusammenwerfen und so verteilen, dass niemand mehr in seiner/ihrer Existenz bedroht sein muss. Die restriktiven Einschränkungen könnten bestehen bleiben und die „besonders Gefährdeten“ (übrigens eben nicht nur Menschen ab 60, sondern durch die Altersgruppen hindurch!) wären etwas weniger gefährdet.

Sehe ich mich um, geht es ums Wollen: „Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden“ (Rosa Luxemburg). Auf die Pandemie gemünzt: Sollte ich die Freiheit der Entscheidung in Anspruch nehmen wollen, die Maskenpflicht, das Abstandhalten, die Händewaschregel für mich nicht in Anspruch zu nehmen, muss ich wissen, dass ich damit zwar meinem Individualismusbedürfnis Rechnung trage, aber andere potentiell gefährde.

Staatliche Handlungsfähigkeit ist das eine, individuelle Verantwortung das andere. Ich frage mich schon bisweilen etwas ratlos, wie es sein kann, dass dieselben Personen, die bereits bei der Erhöhung von GEZ-Gebühren von Staatsübergriffigkeit reden, ihre persönliche Verantwortung in Pandemiezeiten (Mund-und Nasenschutz, Abstand etc.) aber gerne an „den Staat“ abgeben und Befolgung von Grundregeln des (Über-)Lebens nur nach öffentlicher Anordnung nachkommen. Individualität und persönliche Freiheit sind keine in der Atmosphäre freischwebenden Grundrechte, die ich je nach eigenem Gusto bediene – niemand ist eine Insel.

Kunst und Wunst.

(Das vollständige Interview vom 26.4.2020 im „Tagesspiegel“ ist u.a. auf der Facebook-Seite des MFB als Link zu finden)