Gestern abend musste die ARD-Mediathek herhalten: Mir war nach Thriller und ich suchte einen Film namens „Eye in The Sky“ aus. Der Film handelt von einer militärischen Drohnen-Mission, die einen Konflikt auslöst, als eine Zivilistin in das Einsatzgebiet gerät. Ein exzellenter Film, der sich differenziert mit den Dilemmata der Drohnen-Kriegstechnik auseinandersetzt – und der dabei sukzessive von einem spannenden Polit-Thriller zu einem ethischen Drama wird. Ich erinnerte mich an eine Begegnung mit einer Organisation in Washington, die US-SoldatInnen berät, die die militärischen Streitkräfte aus Gewissensgründen verlassen wollen. Ihre Feststellung lautete: Die meisten Militärs, die verweigern, kommen aus den Einheiten, die mit der Drohnen-Kriegstechnik befasst sind. Die Gewissheit, dass sie aus der Ferne und sozusagen mit einem Knopfdruck daran beteiligt sind, dass Menschen sterben müssen, ist für die SoldatInnen kaum aushaltbar. Auch der Soldat in dem Film kommt an seine ethischen Grenzen und an sein psychisches Belastbarkeitslimit, als die Kamera ein Mädchen zeigt, das beim Abschuss der Rakete, die in ein Haus einschlagen sollt, um gesuchte TerroristInnen zu töten, mit hoher Wahrscheinlichkeit umkommen würde.
Jetzt könnte mensch sich ja zurücklehnen und sagen: „Deren Problem, was gehen die auch zum Militär!“.
Aber heute morgen beim Zeitunglesen wurde mir klar: Auch wenn in dem einen Fall (Drohnenangriff) das Töten von Menschen impliziert ist und in dem anderen Fall (Triage) es in erster Linie um Leben retten geht: Das Dilemma bleibt. Der Begriff der Triage (hat seinen Ursprung in der Militärmedizin) bezeichnet die Aufgabe, z.B. bei einem Massenanfall von schwer Erkrankten (wie bei einer Pandemie wie jetzt gerade) darüber zu entscheiden, wie die knappen personellen und materiellen Ressourcen auf die Betroffenen aufzuteilen sind. Mit anderen Worten: Bei nur einem freien Beatmungsgerät und mehreren Erkrankten, die es benötigen würden, muss entschieden werden, wer es letztendlich erhält – und das ohne politisch oder ideologisch motivierte, unethische Selektion. Aber was ist dabei ethisch? Wie kommen diejenigen damit klar, die derartige Entscheidungen zu treffen haben?
Das könnte ich jetzt bedauern und insgeheim erleichtert sein, dass ich keinen medizinischen Beruf ergriffen habe.
Aber auch ich komme in diesen pandemischen Zeiten nicht aus ethischen Dilemmata raus: Melde ich mich freiwillig für Dienste, die Menschen in Not unterstützen wollen (wie z.B. die Verteilung und Anlieferung von Lebensmitteln an Bedürftige o.ä.) und nehme gleichzeitig in Kauf, dass ich die Person, mit der ich zusammenlebe und die eindeutig zu der „Risikogruppe“ gehört, unter Umständen durch meine vermehrten Außenkontakte mit Covid-19 anstecke? Können / müssen / dürfen ethische Entscheidungen durch quantitative Abwägungen (mehr Menschen helfen, dabei eine Person gefährden) geleitet werden?
Kurz: Wer ist mein Nächster/meine Nächste?
Was tun mit den Eltern, die sehnsüchtig auf einen Besuch warten, die ich aber durch mein Ansteckungspotential nicht unnötig gefährden will? Jede/r der LeserInnen könnte auf der Stelle für sich eine Frage formulieren, davon bin ich fest überzeugt.
Was soll ich tun? Wozu soll ich mich entscheiden? Was wäre in dieser Situation „weise“?
„Weisheit ist etwas anderes als Wissen und Verstand und Lebenserfahrung. Weisheit ist das Geschenk, den Willen Gottes in den konkreten Aufgaben des Lebens zu erkennen.“ (Dietrich Bonhoeffer) – im Angesicht aller Dilemmata, möchte ich ergänzen.
Fortsetzung folgt …