Ich bin es leid! Ich bin es leid, schief von der Seite angeschaut zu werden, weil ich an der Kraft des christlichen Glaubens festhalte, und gleichzeitig von ach so Aufgeklärten mit einer Permanent- Missionierungsschleife getriezt zu werden:

Gerade hier in der Hauptstadt gibt es Mitmenschen, die alles, was auch nur entfernt mit verfassten Kirchen zu tun hat, als ewiggestrig abtun und sich damit brüsten, dass sie so etwas Hinterwäldlerisches wie Religion für sich längst abgelegt haben. Soso … Kaum ist das „geklärt“, geht die Karikatur einer Zeltmission aus dem Zeitalter des Pietismus los: „Ich bin vegan und Du?“. Antwort: „Ich bin Mensch und ernähre mich hauptsächlich vegetarisch“. Jetzt aber: „Oh, Du isst noch Eier und trinkst den Kälbern die Muttermilch weg?“ (M.a.W.: Du Arme, Du weißt es nicht besser und hast meine Erkenntnisstufe leider noch nicht erreicht!). Oder: „Schau mal, ich habe da ein paar Videos, die musst Du Dir unbedingt anschauen – von Hühnern in Legebatterien und Schweinen in Großmastanlagen. Dann wirst Du sicher auch Veganerin werden wollen“ (M.a.W.: Höre die Botschaft und kehre um!). Oder das Gespräch wird mit einem bestenfalls mitleidigen Blick beendet (M.a.W.: Sie ist meiner erweckten Gegenwart nicht würdig).

Ausgerechnet also diejenigen, die Religionen per se ablehnen, arbeiten mit Begriffen wie Erweckung, Bekehrung und Erwachen – und grenzen andere, die ihrer Erwählung nicht folgen, aus: Es geht ihnen mit ihrer Ernährungsweise um Identitätsstiftung, wer „falsch konsumiert“, fällt sozusagen vom „wahren Glauben“ ab. Zu den „Speisevorschriften“ kommen dann die Vorgaben für Kosmetik, Kleidung, laktosefreie Medikamente. „Die Frage nach der veganverträglichsten Bank stellt sich, und man macht sich Gedanken um den veganen Urlaub von der Lohnarbeit, und so kann man ewig weitermachen mit der Suche nach dem richtigen Leben im falschen“ (Mira Landwehr).

Liebe „Extrem-Vegan-EiferInnen“: Vielleicht könnten wir mal Religionsfreiheit (was übrigens nicht nur „Freiheit von Religion“, sondern auch das Recht der Ausübung von Religion beinhaltet) walten lassen (Stichwort „Toleranz“) und uns darüber austauschen, ob nicht viel eher angesagt wäre, aus dem Individual-Konsumverkehrskarussell auszusteigen! Es kann und darf nicht nur um mein persönliches Heil gehen – sei es im Christentum, sei es im „VeganerInnen-Glauben“. Noch mal Mira Landwehr: „Sich auszusuchen, was man essen und darüber hinaus konsumieren will und was nicht, ist Luxus und nur einem Teil der Weltbevölkerung überhaupt möglich.“ Die Veränderung der Gesellschaft durch Konsum greift viel zu kurz und beruhigt letztendlich nur das eigene Gewissen – was ja auch nicht zu verachten ist.

Also: Bitte, liebe „Extrem-VeganerInnen“, legt Euren „Missionseifer“ ab und überlegt mit anderen zusammen, welche systemischen und globalen Umbrüche zu mehr Frieden und Gerechtigkeit für ALLE führen können – nicht zu verwechseln mit einem Einkaufswagen, in dem sich Waren mit der Aufschrift „Vegan“ tummeln, an dem sich findige UnternehmerInnen wegen dieses Labels eine goldene Nase verdienen.

Lasst es Euch sagen von einer, die weiß wovon sie redet: Ausgrenzung hat noch nie zu einer „besseren Welt“ geführt – ob mit religiösem oder politischem Label oder dem veganen Pflänzchen auf der Haarspülung.

Und wer sich jetzt auf den nicht vorhandenen Schlips getreten fühlt: Ich meine nicht die Menschen, die sich vegan ernähren und denen es gut damit geht. Nein, ich meine die Menschen, die die im fünften Hinterhof eines Fabrikkomplexes in Bangladesh von Menschen unterhalb der Armutsgrenze hergestellten Plastikschuhe als „vegan“, und damit als „richtig“ bezeichnen – nur, weil sie nicht aus Leder sind und keinem Kälbchen das Leben gekostet haben …

Und noch etwas: Gerne bin ich zu Diskussionen bereit – wenn ich statt Soja-, Hafer- oder Sonstwie-Milch Kuhmilch in meinen Kaffee gießen darf.