Hier sitze ich nun auf der Couch meiner „Ferienwohnung“, zu meinen Füßen meine Hündin, deren „Hundeflüsterer“ leider ausgebucht war, wodurch sie in den Genuss kam, mir mir gemeinsam eine Dienstreise anzutreten, und schreibe an meinem wöchentlichen Blog. Was um alles in der Welt ich im Kasseler Land an der deutschen Fachwerkstraße mache? Ich nehme an der diesjährigen AMG-Studientagung in der Evangelischen Akademie Hofgeismar ( 6 Kilometer von der Couch entfernt, auf der ich gerade sitze) teil – Thema: „Verstörend – befreiend. Das Alte Testament beim Wort genommen“. Und wieso dann der Titel des heutigen Blogs – übrigens Titel eines Lieds aus der „Rocky Horror Picture Show“ – ? Der gestrige Vortrag von Frank Crüsemann mit dem Titel „Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen“ war in der Tat so etwas wie eine Zeitreise für mich: Vor 37 Jahren war ich schon einmal in Hofgeismar, damals Erstsemesterstudentin für evangelische Theologie und Romanistik auf Lehramt Sekundarstufe II der Universität – Gesamthochschule – Duisburg. Ich weiß nicht mehr wie der Titel des Blockseminars lautete (müsste ich zuhause mal in mein altes Studienbuch schauen – oder ins Archiv nach Essen fahren, denn das ist so lange her, dass mensch das Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1980/81 nicht im Internet nachschlagen kann …), ich weiß nur, dass diese Zeit ein absolutes Aha-Erlebnis für mich war. Heinz Kremers, Theologieprofessor in Duisburg, leitete das Seminar. Von Inhalten und Diskussionen verstand ich damals nur knapp die Hälfte – viel wichtiger als diese waren die Gespräche an den Abenden, wie es nicht selten vorkommt bei Seminaren. Kremers, der für mich damals eine graue Eminenz darstellte (er war damals übrigens drei Jahre jünger als ich es jetzt bin …), setzte sich mitten zwischen die StudentInnenschaft mit seinem Bier und sehr bald entwickelten sich spannende Gespräche. Dieser Mann brannte für die Theologie, er brannte für die Versöhnung zwischen Juden und Christen, er brannte für die Absage an jeglicher Judenmission und kämpfte für die Wahrnehmung des Alten Testaments im Sinne des Paulus: „Nicht Du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt Dich“ (Römer 11,18). Kremers war mitverantwortlich dafür, dass ich mich nicht viel später dazu entschloss, zum sogenannten Vollstudium der Evangelischen Theologie an der Ruhruniversität Bochum zu wechseln.

37 Jahre später besuche ich wieder ein Seminar in  der Akademie Hofgeismar, immer noch variieren die Blickwinkel auf das Alte Testament, auch immer wieder mal als Hebräische Bibel bezeichnet.

Vor 37 Jahren ging es um eine neue Verhältnisbestimmung der Theologie, nämlich der „Theologie nach Auschwitz“. Der jüdisch-christliche Dialog war zu einem festen Bestandteil Deutscher Evangelischer Kirchentage geworden Auf dem Kirchentag 1983 in Hamburg besuchte ich zum ersten Mal ein Konzentrationslager: Neuengamme. Ich hörte fassungslos den Berichten überlebender Sinti und Roma während einer Abendveranstaltung zu. Ohne Heinz Kremers, der für seine Visionen einer Versöhnung brannte, wäre ich diesen meinen Weg sicher ganz anders gegangen.

37 Jahre später sitze ich in meiner „Ferienwohnung“  und lese in der jüngsten Ausgabe des Spiegels das Interview mit Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde von München, von 2006 bis 2010 Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Angesprochen auf Ereignisse der letzten Monate – Rechtsextreme recken die Hand zum Hitlergruß, Juden werden auf offener Straße bedroht, ein Oppositionsführer im Deutschen Bundestag bezeichnet die NS-Zeit als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte – sagt sie: „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es wieder so schlimm wird.“

Niemals mehr darf es soweit kommen, dass sich jemals TheologInnen erneut mit einer „Theologie nach …“ befassen müssen!  Dafür brenne ich.

In Memoriam Heinz Kremers (1926 – 1988)