Circa zwanzig E-Mails in zwei Tagen gingen hin und her – zwischen einer mir bis dato völlig unbekannten Frau und mir in meiner Funktion als Geschäftsführerin der VDM und Kontaktperson für die Mennonitengemeinde Hannover.

Was war passiert?

Besagte Frau wohnte einer Predigt bei, als sie mit ihrem Kirchenchor in einer evangelisch-lutherischen Gemeinde zu Gast war. Aus Solidarität ihrem Chor gegenüber verließ sie den Gottesdienst erst kurz vor dem Segen. Empört und verärgert ob des Gehörten recherchierte sie im Internet und schrieb mich an – in der Erwartung, dass ich ihren Fragenkatalog umgehend beantworten würde und in der Annahme, dass ich als Geschäftsführerin der „Mennonitischen Kirche“ die Verantwortung für alle öffentlichen Vorkommnisse zu tragen habe.

20 E-mails später war klar: Sowohl der Prediger als auch die Gemeinde haben formal sowohl nichts mit der Mennonitengemeinde Hannover als auch mit der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (VDM) zu tun.

Zu Anfang der intensiven Korrespondenz fühlte ich mich in „Sippenhaft“ genommen:

Ich bin ein mennonitisches Menschenkind, was sich auf den Artikel 2 der UN-Kinderrechtskonvention berufen möchte, die da lautet:

„Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird.“

Und wenn ich mich auf die Definition von „Sippe“ laut etymologischem „Wörterbuch des Deutschen“ stütze, dann bedeutet das Wort: „Durch ein Bündnis begründete Verwandtschaft“ bzw. „Zugehörigkeit durch Abstammung und Verwandtschaft“.

Ich trage keinen mennonitischen Nachnamen, habe auch keinerlei mennonitische Vorfahren aufzuweisen – und fühle mich dennoch als mennonitische Christin.

Zurück zur Korrespondenz mit besagter aufgebrachten Frau:

Es sprengt jegliche Korrespondenzkapazitäten des Mediums „E-Mail“, „Mennonitische Strukturen im Vergleich zu einer evangelisch-lutherischen Landeskirche“ mal eben mit drei Sätzen zu referieren. Aber diverse Fragetechniken brachten uns dann zu dem Ergebnis, dass ich keinerlei Verantwortung für besagten Prediger trage. Und ich konnte – dank des Verweises auf www.mennoniten.de – ein wenig Licht ins mennonitische Dickicht bringen.

Die Frage nach „Sippenhaft“ war damit formal geklärt, die Veranstalter sind nicht Teil der VDM – aber wie sieht es mit dem Stichwort „Glaubensverwandtschaft“ aus?

Aus den Erzählungen der Frau und meinen eigenen Recherchen wurde deutlich: Der Hintergrund des Predigenden ist rechts-evangelikaler und offensiv-evangelisierender Natur.

Glaubensverwandt fühle ich mich nicht mit Menschen, auf die diese Klassifizierungen zutreffen – egal, ob sie Mennoniten sind oder nicht. Also Menschen, die den Predigtdienst von Frauen ablehnen, für die Ökumene nicht in Frage kommt, die Menschen, die nicht ihrer Glaubensauffassung sind, als „verlorene Sünder“ bezeichnen, für die homo-, trans- und intersexuelle Menschen „Krebsgeschwüre am Leib Christi“ sind – die Liste ist damit noch lange nicht vollständig.

Aus einem diffusen Zusammengehörigkeitsgefühl heraus bin ich davor zurückgeschreckt, mich auch klar inhaltlich zu distanzieren – hat das vielleicht mit dem Phänomen „Mennonitisch als Ethnie“ zu tun? Trifft bei mir (siehe oben) nicht zu. Außerdem dürften die Zeiten einer rein ethnischen Begründung doch wohl langsam vorbei sein, oder?

Wollte ich nach außen hin unsere große theologische Bandbreite relativieren – oder verschweigen? Aber ich kann doch nicht sagen:“ Die tragen zwar den Namen in ihrer Bezeichnung, wir sind aber die wahreren Mennoniten“??? – Zumal ich diese Entscheidung dem Ewigen überlasse, wenn ich dereinst vor ihm stehen werde…

„Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“ (Epheser 4, 2b-6)

Wie weit muss das Ertragen gehen? Kann das Band des Friedens auch reißen und zum Band der klaren Trennung werden?

Was meint die geschätzte LeserInnenschaft?