Die ARD kündigte gestern einen Beitrag in den Tagesthemen (Sendezeit 22:15 Uhr) wie folgt an:
„Pflicht oder Kür: Die Diskussion um Dienst am Volk“. Ich schaue ins Internet, ins ARD-Archiv: Die Anführungszeichen bei „Dienst am Volk“ habe ich vermutlich überhört – mitnichten! Keine Anführungszeichen im Text, die ich ja auch im Radio (88.8 RBB) einige Stunden zuvor ja überhört haben könnte…

Es geht um die von der Generalsekretärin der CDU, Frau Kramp-Karrenbauer, angestoßene Diskussion um eine „allgemeine Dienstpflicht“ bzw. um einen „Dienst am Gemeinwesen“ (Zitate aus dem Kommentar des Journalisten Oliver Köhr vom MDR in den gestrigen „Tagesthemen“ von 22:15 Uhr), Begriffe wie „allgemeines soziales Jahr“ (Tina Hassel, ARD) oder „sozialer Einsatz für die Gesellschaft“ (Marc Brost, Die ZEIT) und andere sind ebenfalls im Umlauf.

Ich will mich an dieser Stelle NICHT in die Diskussion bezüglich Wiederaufnahme der allgemeinen Wehrpflicht – diesmal für Männer UND Frauen- bzw. um eine „allgemeine Dienstpflicht“ für junge Menschen einschalten. Das kommt mit Sicherheit ein anderes Mal. Mir geht es explizit um den Begriff „Dienst am Volk“. Klingelt es da bei dem einen oder anderen? Nein? Hier ein paar kleine Einblicksschnipsel in die Verwendung dieses Ausdrucks:

– „Erst im Dienst der Allgemeinheit, erst als dienendes Glied im Rahmen des Volksganzen, erwacht der einzelne zu höherem Leben, erst so wird er – jeder an seinem Platze – wahrhaftig eingegliedert in die höhere Ganzheit seines Volkes …“ (Gottfried Feder, NSDAP-Politiker, 1883-1947)

– Mit dem „Gesetz über die Hitlerjugend“ vom 1. Dezember 1936 wurden alle Jugendlichen zwangsweise in der NS-Jugendorganisation erfaßt. Das Gesetz bestimmte, daß die „gesamte deutsche Jugend“ in der Hitlerjugend „körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen“ sei.

– Entwurf eines Volksgesetzbuches vorgelegt aus der Akademie für Deutsches Recht von J. W. Hedemann, H. Lehmann, W. Siebert, München 1942, S. 11 f.:
„Grundsätze des völkischen Gemeinschaftslebens

1. Oberstes Gesetz ist das Wohl des deutschen Volkes.

2. Deutsches Blut, deutsche Ehre und Erbgesundheit sind rein zu halten und zu wahren. Sie sind die Grundkräfte des deutschen Volksrechts.

3. Die Ehe als Grundlage des völkischen Gemeinschaftslebens steht unter dem besonderen Schutz der Rechtsordnung. Sie soll sich als vollkommene Lebensgemeinschaft der Ehegatten bewähren und dem höheren Ziel der Erhaltung und Mehrung von Art und Rasse dienen.

4. Die Kinder sind das kostbarste Gut der deutschen Volksgemeinschaft. In der Jugend erblicken Partei und Staat die Zukunft des deutschen Volkes.
5. Die Eltern sind verpflichtet, ihre Kinder im nationalsozialistischen Geist leiblich und sittlich zum Dienst am Volk zu erziehen. Partei und Staat stehen ihnen mit ihren Erziehungs- und Zuchtmitteln zur Seite.“

Wir schreiben das Jahr 2018 und es ist klar: Als „deutsches Volk“ oder „Staatsvolk“ gelten laut Grundgesetz Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die aus dem deutschen Reichsgebiet von 1937 Vertriebenen und die Menschen, denen in der NS-Zeit aus politischen Gründen die deutsche Staatsbürgerschaft genommen wurde, sowie ihre Angehörigen (siehe Gereon Flühmann (Hg.), Umkämpfte Begriffe. Deutungen zwischen Demokratie und Extremismus, bpp 2017)

Dennoch: „Nicht immer wird schon an der Begrifflichkeit erkennbar, ob man eine extremistische Position vor sich hat, und sehr oft zeigen erst die Argumentationsmuster oder Denkzusammenhänge den grundsätzlichen Gegensatz zur demokratischen Position.“ (a.a.O. S. 214)

Es liegt mir fern, der ARD-Redaktion extremistische Positionen vorzuwerfen, im Falle der folgenden Zeitschrift schließe ich diesen Verdacht alles andere als aus:

– aus „Nationaler Sozialismus Heute – Das Nationale Magazin“, Artikel vom 10.7.2017: „Dienst am Volk und für das Volk – Im Gespräch mit „Ein Volk hilft sich selbst“, eine nationalistische Spendensammlungsaktion für „hilfsbedürftige Volksgenossen“

Sprache ist das zentrale Medium der „gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ (vgl. Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Ffm 1969). Sprache ist auch ein Schlüssel zur Konstruktion von Politik.

So weit ist es schon? Ich höre „Dienst am Volk“ und in mir ploppt ein mit völkisch-nationalen Assoziationen konnotierter Volksbegriff auf.
Also was jetzt? Ist dieser Begriff völkisch-national besetzt? Und wenn ja, wie können wir ihn (wieder) demokratisch besetzen? Oder greifen wir lieber zu Begriffen wie „Engagement für den Staat“ oder „Dienst am Gemeinwesen“?
Kommentare sind erbeten!